SALT LAKE CITY, 14. August 2009. Die nachfolgend
aufgezeichnete Rede hat Elder M. Russell Ballard anlässlich der
Abschlussfeier der Brigham-Young-Universität am 13. August 2009
gehalten.
Warme Gefühle steigen in mir auf, wenn ich Sie,
die Absolventen dieses Jahrgangs, ansehe. Es ist mir leider nicht
möglich, einem jeden von Ihnen die Hand zu geben und Ihnen in die
Augen zu blicken, aber Sie sollen wissen, dass Sie in den Augen des
himmlischen Vaters wichtig sind. Er hat Sie lieb. Die Führer der
Kirche haben Sie lieb.
Sie sollen auch wissen, dass vor Ihnen spannende und bedeutsame
Gelegenheiten liegen, dem Herrn zu dienen. Mir ist bewusst, dass
sowohl Ihre Eltern als auch Sie selbst über Jahre hinweg Opfer
erbracht haben, die Sie zu dem haben werden lassen, was Sie sind.
Wenn ich Sie heute ansehe, bin ich mir der Jahre bewusst, die Sie
sich bereits der Kirche verpflichtet haben, und dass Sie Ihr
Zeugnis gestärkt haben, indem Sie die Grundsätze des Evangeliums
studiert und angewandt haben. Wenn ich Sie ansehe, sehe ich die
Zukunft der Kirche ? nicht nur zukünftige Bischöfe,
Pfahlpräsidenten, Missionspräsidenten und Leiter der
Hilfsorganisationen, sondern die großen Scharen zukünftiger Mütter
und Väter, PV- und Sonntagsschullehrer, Jugendführer, Heimlehrer
und Besuchslehrerinnen, Scout-Führer, Chorleiter und zahlloser
anderer, die dem Herrn im 21. Jahrhundert dienen werden.
Dieses Jahrhundert wird anders sein als das gerade vergangene. In
mancher Hinsicht wird es besser sein, in mancher Hinsicht wird es
bedeutend schwieriger für Sie und Ihre Kinder sein. Aber eins ist
unausweichlich: Es wird Ihr Jahrhundert sein, ein Jahrhundert, dem
Sie Ihren Stempel aufdrücken können, zum Guten oder zum Bösen. Sie
werden versuchen, andere zu beeinflussen, und andere werden
versuchen, Sie zu beeinflussen. Entweder werden Sie Ihre
Grundwerte, die im wiederhergestellten Evangelium Jesu Christi
begründet sind, weitergeben und fördern, oder aber Sie werden
zulassen, dass andere für Sie und Ihre Nachkommen die Werte
bestimmen.
Durch das Internet und die neuen Technologien bei den Medien wird
sich die Kommunikation in der Zukunft verändern. Ihre virtuelle
Welt mit Handys, die Video-Downloads und iTunes aufnehmen, sozialen
Netzwerken wie Facebook, SMS, Blogs, Twitter, Handhelds und
Podcasts ? das alles ist erst der Anfang der bemerkenswerten
technischen Weiterentwicklung, die noch vor Ihnen liegt. Ich
wünsche mir da manchmal, 20 Jahre später geboren zu sein; dann
wüsste ich, was mit meinem iPhone los ist, wenn es, wie so oft,
wieder einmal spinnt.
Liebe Brüder und Schwestern, wir befinden uns inmitten eines
gewaltigen Kampfes. Seit Anbeginn der Menschheit ist es so. Es gab
immer Gut und Böse um uns und ebenso das Recht, zwischen beidem zu
wählen. In der Zeit, die mir heute mit Ihnen zur Verfügung steht,
möchte ich ein paar Gedanken darüber äußern, was es heißt, für die
Wahrheit einzustehen.
Vor kurzem sah ich eine Studie darüber, wie andere Menschen
Mitglieder der Kirche wahrnehmen. Das Thema interessiert mich schon
seit langem, denn ich hatte in meinen kirchlichen Aufgaben ein
wenig mit Missionsarbeit zu tun. Zu wissen, wie andere Menschen uns
wahrnehmen, ist wichtig, um zu verstehen, wie man sich am besten
ausdrückt. In der besagten Studie wird eine interessante
Feststellung getroffen. Es wird behauptet, dass die Mitglieder
unserer Kirche gegenüber denen, die ihr nicht angehören, manchmal
eine sehr deutliche Verteidigungshaltung einnehmen. Ein Befragter
ging sogar so weit zu sagen, dass Mormonen bei der Erklärung ihrer
Glaubensansichten eine Ausdrucksweise verwenden, der man anmerkt,
dass sie Kritik erwarten.
Von solchen Beobachtungen höre ich nicht zum ersten Mal. Je mehr
ich jedoch darüber nachdenke, desto besser verstehe ich es. Wenn
wir nicht aufpassen, dann vermitteln wir möglicherweise im Gespräch
mit anderen ein Verteidigungsbedürfnis.
Ich glaube, mir sind einige der Gründe klar. Seit Joseph Smith 1820
aus dem Heiligen Hain kam, hat es Menschen gegeben, die negativ und
sogar feindselig auf unsere Botschaft reagierten. Joseph erzählt
uns mit eigenen Worten, es sei nicht angenehm gewesen, als er
erstmals das, was er gesehen hatte, jemandem erzählte, der nicht
seiner Familie angehörte. Der protestantische Prediger, dem er
darüber berichtete, erklärte ihm, „das sei alles vom Teufel“ und
dass es keine Visionen und Offenbarungen mehr gebe. Wenn Joseph das
schlimm fand, dann nur, weil er die unerbittliche Macht des
Widersachers noch nicht erkannt hatte. Je mehr die Kirche wuchs,
desto mehr schien sie Feindseligkeiten anzuziehen. Die kleine Schar
glaubenstreuer Heiliger wurde von einem Ort zum nächsten
vertrieben. Als Joseph im Gefängnis von Liberty so schrecklich litt
und der Gouverneur von Missouri den Befehl gab, die Mitglieder der
Kirche auszurotten, hat sich Joseph vermutlich kaum vorstellen
können, dass es noch viel schlimmer kommen könnte. Aber natürlich
kam es schlimmer, und Joseph und Hyrum zahlten für ihr Werk, ihr
Zeugnis und ihren Glauben mit dem Leben. Es war der letzte Akt
eines Geschehens, das den großen Zug in den Westen auslöste, der
von Brigham Young geleitet wurde und uns in diese Wildnis brachte –
eine Zuflucht hier in den Rocky Mountains für die Mitglieder der
Kirche.
Das ist jetzt ein unauslöschlicher Teil der Geschichte. Schon als
kleines Kind haben Sie die Geschichten über Strapazen und
Opferbereitschaft gehört. Selbst Bekehrte der Kirche, die keine
Vorfahren haben, die diese Zeit überlebt haben, nehmen die Menschen
und Ereignisse unserer frühen Geschichte als Teil ihres eigenen
Erbes an. Diese Geschichten inspirieren und motivieren uns, und das
sollen sie auch. Ich hoffe und bete, dass wir, die wir
verhältnismäßig angenehm leben, niemals diese standhaften und
glaubenstreuen Heiligen der Letzten Tage und die Lektionen, die wir
von ihnen lernen können, vergessen werden.
Und doch schreiben wir nicht das Jahr 1830, und wir sind nicht mehr
bloß sechs. Könnte dieses Verteidigungsbedürfnis, das andere
manchmal bei uns wahrnehmen, zum Teil darauf hinweisen, dass wir
noch immer erwarten, wie eine unerwünschte Minderheit behandelt zu
werden, die gezwungen ist, westwärts zu fliehen? Erwarten wir im
Umgang mit anderen ständig, dass wir uns verteidigen müssen? Wenn
das der Fall ist, so müssen wir wohl unseren Kurs berichtigen.
Ständig Kritik oder Widerspruch zu erwarten, kann zu einer
ungesunden Selbstwahrnehmung führen und zu einer Abwehrhaltung, die
bei anderen keinen Anklang findet. Es ist unvereinbar mit der
Position, die wir als Kirche und als eine große Gemeinschaft von
Nachfolgern Jesu Christi heute innehaben.
Wie in allem können wir uns den Erretter als Vorbild nehmen. Von
Beginn seines Wirkens an erfuhr er enorme Feindseligkeit. Als er
erstmals in den Synagogen von Nazaret predigte, wollten ihn einige
von einer Klippe stürzen. Er ließ sich davon jedoch nicht
einschüchtern. Er wusste, dass man ihn weitgehend missverstehen
würde. Trotzdem verkündete er furchtlos sein Evangelium und
verwendete dabei Formulierungen wie „Einige sagen euch ..., ich
aber sage euch ...“ Er wusste, was er sagen wollte, und er sagte
es, ohne sich zu entschuldigen. In den heiligen Schriften steht
darüber: „Er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie
ihre Schriftgelehrten.“ (Matthäus 7:29.)
Wenn wir heute für das respektiert werden wollen, was wir sind,
dann müssen wir selbstbewusst auftreten ? sicher im Wissen um das,
was wir sind und wofür wir einstehen, und nicht, als müssten wir
uns für unseren Glauben entschuldigen. Das heißt nicht, dass wir
arrogant oder anmaßend sein dürfen. Der Respekt vor den Ansichten
anderer muss immer ein Grundprinzip für uns sein ? es ist sogar in
den Glaubensartikeln verankert. Wenn wir uns jedoch verhalten, als
seien wir eine verfolgte Minderheit oder als würden wir erwarten,
missverstanden oder kritisiert zu werden, dann spüren die Menschen
dies und reagieren entsprechend.
Ich fordere die zurückgekehrten Missionare unter Ihnen auf, darauf
besonders zu achten. Sie haben zwei Jahre damit verbracht, an Türen
zu klopfen und mit allen möglichen Fragen und Einwänden umzugehen.
Es kann leicht passieren, dass Sie im Gespräch meinen, Sie würden
noch immer an eine Tür klopfen. Das tun Sie aber nicht. Wenn Sie in
die Lage kommen, über Ihren Glauben zu sprechen, müssen Sie nicht
so vorsichtig auf Zehenspitzen gehen, dass man meint, Sie weichen
aus oder erwarten Kritik. Der Apostel Paulus hat gesagt: „Ich
schäme mich des Evangeliums nicht.“ (Römer 1:16.) Das sollte auch
keiner von uns tun. Ich sehe jeder Gelegenheit, bei der ich mein
Zeugnis von der wunderbaren Botschaft der Wiederherstellung geben
kann, entgegen und begrüße sie. Und ich kann mich nicht entsinnen,
dass ich jemals jemanden dabei beleidigt hätte.
Einer der Gründe, warum dieses Thema wichtig für Sie ist, ist der,
dass die Kirche stärker wird. In den Vereinigten Staaten sind wir
mittlerweile die viertgrößte Kirche. Überall gibt es Heilige der
Letzten Tagen, an einer Küste wie an der anderen, im Norden wie im
Süden. Wir sind zwar im Westen stärker vertreten, doch es wird mehr
und mehr alltäglich, dass die Menschen in diesem Land einen
Heiligen der Letzten Tage persönlich kennen. Darüber hinaus haben
viele Mitglieder der Kirche Ansehen in der Gesellschaft erlangt.
Vor kurzem stellte ein Artikel über die Kirche im Time-Magazin
diese Tatsache fest und zeigte mehrere Fotos prominenter Heiliger
der Letzten Tage.
Diese Bekanntheit allein sorgt dafür, dass man mehr und mehr über
die Kirche spricht, und die Heiligen der Letzten Tage werden sich
mehr und mehr in Gesprächen über das Evangelium wiederfinden. Aus
diesem Grund habe ich dieses Thema ausgewählt. Es ist wichtig, dass
Sie ehrlich, offen, geradeheraus, verbindlich sind, die Ansichten
anderer respektieren und Ihre eigenen nicht verteidigen.
Ich werde Ihnen zwei Empfehlungen geben, wie Sie ein Gespräch
führen können, ohne sich zu verteidigen.
Hinweis an Journalisten:Bitte verwenden Sie bei der Berichterstattung über die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei deren ersten Nennung den vollständigen Namen der Kirche. Weitere Informationen hierzu im Bereich Name der Kirche.